Vom Anfang Weißensees

Weißensee ist eine Gründung des Mittelalters – um 1242 wird das Straßendorf an der wichtigen Handelsfernstraße von Berlin nach Oderberg erstmals urkundlich erwähnt, das Gründungsjahr der Siedlung soll aber bereits um 1230 gewesen sein. Namensgebend ist der Wittenzee – der Weiße See. Fischreich war der See und sicherte den Lebensunterhalt der Siedler, wobei Weißensee nie nur ein reines Fischerdorf war – schon bald nach Besiedlung begannen die Einwohner damit, die waldreiche Gegend zu roden und Getreidehufen anzulegen.   

 

Wie im Mittelalter und Anfang der Neuzeit üblich, passiert erstmal viele Jahre nicht viel: 1486 macht Kurfürst Johann Cicero den Berliner Patriziersohn Johann von Blankenfelde zum Gutsherren von Weißensee. 1540 wird ein Rittergut angelegt, das mehrmals geteilt wird und auch vor den Wirren des 30jährigen Krieges bleibt man nicht verschont. An dessen Ende leben in Weißensee noch 3 Familien.          

 

Aber, wie es so oft in der Geschichte ist: es braucht nur ein paar Menschen, die auftreten und die Geschicke ändern sich. Für Weißensee sind das vier Männer: Carl Gottlob von Nüßler, Königlicher Geheimrat und Landrat des Kreises Niederbarnim, der Erfinder Johann Heinrich Leberecht Pistorius, der Kaufmann Gustav Adolf Schön und der Architekt Carl James Bühring.   

 

Nüßler erwirbt 1745 das Landgut, baut am Südufer ein Gutshaus mit Garten und vereinte die durch die Wirren der Zeitläufte zersplitterten Güter. Nüßler lässt ebenfalls den Dorfkrug – das spätere Café Rettig - anlegen und haucht dem Ort wieder Leben ein.

 

Pistorius entwickelt 1817 den Pistoriusschen Brennapparat zur Herstellung von Branntwein aus Kartoffeln. 1821 erwirbt er das Rittergut Weißensee und macht es zu einem preußischen Mustergut. Er betreibt extensiven Kartoffelanbau und erweitert den Viehbestand. Rückschläge gibt es durch eine Feuersbrunst 1823, die große Teile des Dorfes und des Gutes zerstört. Nach Pistorius Tod bauen seine Erben das Landgut ab 1859 schlossähnlich aus.

Kaiserzeit ist Entwicklungszeit

1872 erwirbt der Hamburger Kaufmann Gustav Adolf Schön Gut und Dorf; und nun geschieht, was in der Gründerzeit immer wieder passiert: das Land wird parzelliert und weiterverkauft. Bis 1874 hat Schön die meisten Grundstücke verkauft und, um weiter zu profitieren, gründet er mit Gleichgesinnten eine Baugesellschaft – die Gesellschaft für Mittelwohnungen. Erste Errichtungen sind die Häuser des „Französische Viertel“ – im Geist der Zeit benannt nach Schauplätzen des Deutsch-Französischen Krieges. 1951 erst erfolgt die Umbenennung der Straßen nach Komponisten.

 

1875 wird die Ringbahnstation Weißensee eröffnet, die heutige Station Greifswalder Straße. Damit ist Weißensee auf einmal sehr viel einfacher zu erreichen. Ebenfalls 1875 verkauft die Baugesellschaft Schöns ein 40 Hektar großes Areal an die jüdische Gemeinde Berlins zur Errichtung einer Begräbnisstätte, die diese dringend benötigt, da der Jüdische Friedhof an der Schönhauser Allee aus allen Nähten zu platzen droht.              

 

Da Schön für das Schloss keine Verwendung hat, wird es ab 1874 zu einer Vergnügungsstätte umgebaut; es entwickelt sich in der Kaiserzeit zum "Welt-Etablissement Schloss Weißensee", mit 2 Tanzsälen, einer Rutschbahn, Ballonfahrten, Karussells, Würfelbuden, und verschiedenen Bierlokalen. Wie so viele Orte in der Umgebung des explodierenden Berlins im 19. Jahrhundert, gehört der Weiße See mit Schloss und Vergnügungspark am Ufer zu den beliebten Ausflugszielen der Stadtbevölkerung am Wochenende. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges erwirbt die Gemeinde Schloss und Parkanlage und macht sie der Öffentlichkeit zugänglich. 1919 brennt das Schloss ab und wird nicht wieder aufgebaut. Das Strandbad existiert bereits seit 1912 und erfreut sich bis heute größter Beliebtheit. 

 

Weißensee wächst und hat um 1900 bereits knapp 30.000 Einwohner. Auch die Industrialisierung hält Einzug; zwischen 1898 und 1906 werden in mehreren Bauabschnitten die Ruthenbergschen Fabrikanlagen errichtet. Gewerbehöfe, mit  Werkstätten und Lagerräumen zwischen der Langhans- und Lehderstraße, sowie Behaim- und Roelckestraße. 

 

1902 wird die Bethanienkirche am Mirbachplatz in Anwesenheit des Kaiserpaars geweiht, 1906 das prachtvolle klassizistische Amtsgericht in Betrieb genommen. Stadtrechte verweigert der Landrat der Gemeinde zwar, aber auf Grund des Bevölkerungswachstums entsteht die dazugehörige Infrastruktur.  

 

1906 dann kommt Carl James Bühring nach Weißensee. Die als Munizipalviertel bekannte Wohnlage wird 1908 bis 1919 vom Gemeindebaurat als Zentrum der aufstrebenden Gemeinde geplant und errichtet. Realisiert wird eine bessere Wohngegend, um die sogenannten „höheren Schichten“ anzusprechen, standesgemäß ist die Anlage in märkischer Backsteinarchitektur erbaut. Das neue Zentrum erhält rund um den Kreuzpfuhl eine riesige Stadthalle. Das Casino der Stadthalle ist das heutige Frei-Zeit-Haus, es entstehen Beamtenwohnhäuser, ein Gymnasium sowie Wohnbauten an der Woelckpromenade und ein Ledigenwohnheim. 1911 eröffnete das Milchhäuschen am See als kommunale Einrichtung der Bevölkerungsversorgung.

Die gloriosen Jahre

1913 schließlich beginnt das, wofür Weißensee Anfang des 20.Jahrhunderts weltberühmt wird – die Filmstadt entsteht. Denn vor den Toren der Stadt gibt es reichlich Platz um preiswert große Studios zu bauen. In der Franz-Josef-Straße - heute Liebermannstraße - richten die Continental Kunstfilm GmbH, die Pathe-Freres GmbH und die Vitascope Gesellschaft Filmateliers ein. Nach einem kurzen, kriegsbedingten Einbruch der Filmbranche, geht es 1915 mit der Filmproduktion in Weißensee richtig los. Es beginnt die Zeit der Regisseure und Darsteller, die Stummfilmfans heute noch bekannt sind: Richard Oswald, Reinhold Schünzel, Claire Waldorff, Harry Liedtke, um nur einige zu nennen. Zwischen 1913 und 1928 werden in Weißensee 49 Filme gedreht, darunter "Der Hund von Baskerville" 1914 oder "Das Cabinet des Dr. Caligari" 1919. In "Tragödie der Liebe" steht Marlene Dietrich 1923 erstmals vor der Kamera.

 

Es wird aber nicht nur gedreht, auch zahlreiche große Filmpaläste dienen als Premierenkinos. Sieben davon befinden sich rund um den Antonplatz; über zehn in ganz Weißensee. Nur zwei davon sind heute noch vorhanden: das Toni am Antonplatz und das Kino Delphi in der Gustav-Adolf-Straße. Als ab 1928 der Tonfilm unaufhaltsam seinen stummen Vorgänger ablöst, verlöschen die Lichter in den Weißenseer Ateliers, denn ihnen fehlten die Voraussetzungen für den Tonfilm. Babelsberg löst Weißensee als Filmstadt ab.

 

Im Rahmen des Groß-Berlin Gesetzes wird Weißensee 1920 mit Hohenschönhausen, Malchow, Falkenberg und Wartenberg zum 18. Verwaltungsbezirk von Berlin. Ebenfalls in den zwanziger Jahren setzt weiterer, umfangreicher Wohnungsbau ein, um den Zustrom nach Weißensee bewältigen zu können. An der Trierer Straße baut Bruno Taut 1925 das Papageienhaus. An der Woelckpromenade entsteht nach Plänen von Joseph Tiedemann das Holländerquartier, ein Gebäudekomplex nach Potsdamer Vorbild. 1931 wird auf dem Gelände des alten Pferdebahndepots, ein Areal zwischen Große Seestraße - Rennbahnstraße - Parkstraße und Lemgoer Straße, eine  weitere Wohnsiedlung nach Plänen von Paul Mebes und Paul Emmerich fertiggestellt.

 

Auch weitere Fabrikanlagen entstehen: Die Schokoladenfabrik TRUMPF an der Gustav-Adolf-Straße stellt 1934 ein Bürohaus und 1935 ein Kraftwerk fertig. Die Niles AG beginnt im gleichen Jahr mit der Serienproduktion einer neu entwickelten Zahnflankenschleifmaschine. Das Werk erreicht mit diesen Maschinen ein weltweites Monopol.

 

1939 werden auf dem Gelände der Apparatefabrik Raspe auf Veranlassung des Luftfahrtministeriums an der Berliner Allee weitere Fabrikhallen errichtet, Architekt ist Richard Schubert. Die Askania Werke AG, ein Unternehmen der feinmechanischen und optischen Industrie mit Hauptsitz in Friedenau, baut dort Apparaturen für die Luftwaffe. Ab  1942 wird das Gelände für die Rüstungsproduktion erweitert. Auf dem Stadtgut Malchow wird für die Zwangsarbeiter eine Außenstelle des KZ Moringen, einem Lager für Jungen in der Nähe von Göttingen, errichtet.  

Nachkriegszeit und Wiedervereinigung

Am 26. Februar 1945 werden während eines Bombenangriffs die Bethanienkirche, die Stadthalle und das Postamt schwer beschädigt. Am 21. April 1945 überschreiten sowjetische Truppen die Stadtgrenze und besetzen den Bezirk.  Nach der Kapitulation wird das Askaniahaus für kurze Zeit das neue Rathaus Weißensees. 1946 lässt die sowjetische Militäradministration das Haus dann räumen, um es selbst zu nutzen. Von 1953 bis 1990 schließlich bringt das Ministerium für Staatssicherheit in dem früheren Industriegebäude seinen Personen- und Objektschutz unter. Circa 3.800 Mitarbeiter sind dort beschäftigt. Von hier wird zum Beispiel die reibungslose Fahrt der Staatsführung von Wandlitz nach Berlin-Mitte organisiert – die Protokollstrecke. Nach dem Fall der Mauer wird in dem Backsteinbau ein großes Waffenlager der Stasi gefunden: Handgranaten und Panzerfäuste, Maschinengewehre und Pistolen, alles deponiert mitten in der Stadt. 1990 zieht das Bezirksamt Pankow in Teile des Gebäudes ein.

 

Um die Wohnungsnot zu mildern wird bald nach Kriegsende ein umfangreiches Wohnbauprojekt gestartet; 1959 entsteht das Wohngebiet am Hamburger Platz, 1967 das an der Else-Jahn-Straße und 1975 das Gebiet Falkenberger Straße Süd.

 

Aber nicht nur Wohnbau wird gefördert; 1957 wird die Freilichtbühne Weißensee eröffnet, 1962 das Kreiskulturhaus, welches 1984 nach dem jüdischen Schriftsteller Peter Edel umbenannt wird. Weltberühmt wird die Kunsthochschule Weißensee, die 1946 als Kunstschule des Nordens gegründet wird und im Bürogebäude der TRUMPF Schokoladenfabrik ihren Sitz findet. Heute werden an vier Standorten Studenten unterrichtet, mit der Kunsthalle am Hamburger Platz besitzt die Hochschule ein eigenes Ausstellungsgebäude.

 

Berühmt wird auch die 1954/55 erbaute Radrennbahn, die ab Mitte der 1980er Jahre für Musikgroßveranstaltungen genutzt wird: Westgrößen wie Bruce Springsteen, Bryan Adams, Joe Cocker oder James Brown treten hier auf, 1990 dann sogar die Rolling Stones. Und natürlich DDR Bands wie City oder Die Zöllner. Ursprünglich befand sich auf dem Areal die 1877 vom Berliner Traber-Club errichtete erste Berliner Trabrennbahn. Bis zu 12.000 Besucher lockte das nach Weißensee, einige Jahre nach Eröffnung wurde sogar eine Sonderlinie der Straßenbahn bis zu den Eingängen der Rennbahn geführt. Heute erinnert nichts an den Glanz vergangener Tage – das Gelände wird zum Baseball spielen genutzt.

Mit dem Fall der Mauer verändert sich auch Weißensee. Die Industriebetriebe werden reprivatisiert bzw. liquidiert, Weißensee entwickelt sich unter anderem zum Kunstquartier. Denn neben der Kunsthochschule findet sich seit 2005  auf dem ehemaligen Industriegelände an der Liebermannstraße die Kreativstadt Weißensee. Derzeit arbeiten hier rund 350 nationale und internationale Maler, Fotografen, Bildhauer und Musiker. Zudem befinden sich vier Probebühnen des Maxim Gorki Theaters und des Theater an der Parkaue und anderen internationalen Produktionen mit renommierten Schauspielern und Regisseuren sowie die aufstrebende Schauspielschule Art of Acting auf dem Areal. Darüber hinaus gibt es Kantine, Café und Freizeitflächen, die Künstler bieten einen Raum für die gesamte Nachbarschaft. 

 

Weißensee hat keine reiche Geschichte. Aus dem märkischen Dorf ist heute ein beschauliches Wohngebiet geworden, welches auch ein Ort zahlreicher Künstler und ihrer Ateliers ist; mit einer in den Nebenstraßen schon fast kleinstädtisch anmutenden Ruhe. Stetiger Zuzug sorgt für Vitalisierung der Kieze, bringt aber natürlich die Schattenseiten wie Gentrifizierung und steigende Mietpreise mit sich. 

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