Stadtrundgang durch Britz

Um 1375 wird Britz erstmals urkundlich erwähnt im Landbuch der Mark Brandenburg, welches Kaiser Karl IV anlegen ließ. Ein Dorf, wie so viele andere in Brandenburg mit dem üblichen Aufbau von Dorfanger, Dorfteich, Dorfkirche, Pfarrhaus, Schule, Herrenhaus und Gutshof. Was es aber heute von den anderen unterscheidet ist, daß das Rittergut so außerordentlich gut erhalten ist und der Besucher der Jetztzeit einen guten Einblick in das Leben und Arbeiten auf einem solchen Hof bekommt. Und – was Alt-Britz außerdem von den anderen unterscheidet - in seiner direkten Nachbarschaft befindet sich eine der bedeutendsten Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus des 20sten Jahrhunderts und UNESCO Weltkulturerbe: die Hufeisensiedlung. Nimmt man dann noch das Naherholungsgebiet des Britzer Gartens dazu, kann man einen wundervollen, sehr diversen Tag im Neuköllner Süden verbringen.

 

Hufeisensiedlung

Beginnen wir unseren Rundgang mit der Hufeisensiedlung, der Ikone des modernen Städtebaus und des sozialen Wohnungsbaus. Und wie immer wenn etwas Neues und Anderes verwirklicht werden soll, braucht es Menschen, die außergewöhnlich denken. Mit dem Architekten Bruno Taut und dem Berliner Baustadtrat Martin Wagner trafen sich zwei Vordenker des Neuen Bauens, die von der Überlegenheit des typisierenden Bauens überzeugt waren und gemeinsam diese Großsiedlung umsetzten.

 

Hufeisensiedlung - Berlin Neukölln
Hufeisensiedlung - Berlin Neukölln

In Anlehnung an das Gartenstadtkonzept des ausgehenden 19ten Jahrhunderts konzipierten sie einen sogenannten grünen Ring, die heutige Fritz-Reuter-Allee, die das zu bebauende Areal in zwei – ungleiche – Teile trennte. Rechts und links wurde jeweils eine andere Wohnungsbaugesellschaft mit der Bebauung des Geländes beauftragt. Taut entwickelte die zentrale und namensgebende Hufeisensiedlung im Stile der Neuen Sachlichkeit. Ein dreigeschossiger runder Komplex, der an der Stirnseite offen gehalten ist; in dessen Mitte eine Grün- & Teichfläche, die neben gemeinschaftlich genutzten Flächen auch private Gärten für die Hausbewohner vorsah. Die „Rote Front“ genannten Häuser an der Fritz-Erler-Allee stammen ebenfalls von Taut, ebenso wie die zweigeschossigen Reihenhäuser in den angrenzenden Straßen Hüsing - in Form eines mittelalterlichen Angers gehalten, mit je einem Kugelahorn vor den Häusern -Onkel-Bräsig-Straße oder Stavenhagener Straße, um nur ein paar zu nennen. Taut beschränkte sich auf eine einfache und sachliche Architektur, lediglich in der Farbgebung nutzte er eine deutlichere Gestaltungs- & Formsprache. Und dies nicht nur im Außenbereich, sondern auch im Inneren der Wohnungen und Häuser. Fenster, Türen und Putzflächen leuchten noch heute in strahlendem Blau, Ochsenblutrot oder Sonnenblumengelb. 

 

Vor allem die Häuser der Roten Front setzte Taut als bewusste Abgrenzung gegen den Baustil auf der anderen Seite der Straße. Hier werden die politischen und geistigen Gegensätze der Weimarer Republik im Städtebau deutlich; Modernität und Traditionalismus treffen auf engstem Raum zusammen.       

 

Denn gänzlich anders zeigt sich die Architektur auf der östlichen Seite der Fritz-Erler-Allee. Die Architekten Paul Engelmann und Emil Fangmeyer entwickelten die Siedlungen Eierteichsiedlung und Krugpfuhlsiedlung stark nach der traditionellen Formensprache der ursprünglichen Gartensiedlungen  mit teils verspielten und romantisierenden Elementen und überwiegend Reihenhäusern mit Vor - & Innengärten.  

 

Das verbindende Element für beide Baugruppen war die Wichtigkeit der Außenbereiche und Grünflächen: Ligusterhecken, Obstbäume und eine eigene Baumsorte für jede Straße. Die Arbeiter und ihre Familien sollten eintauchen können in die Natur.   

 

Im Infopoint an der Fritz-Reuter-Allee kann man Freitag+Sonntag 14:00-18:00 (Winter 13:00-17:00)  die Farb- & Formsprache Tauts kennenlernen. In der denkmalgerecht sanierten Wohnung mit Laden und Mietergarten bekommt man einen sehr guten Eindruck vom Leben in der Hufeisensiedlung in den 1920er Jahren. Und, man bekommt hier auch einen guten Kaffee.

 

Wer will, kann auch noch den späteren und letzten Bauabschnitt südlich der Parchim Allee erkunden. Hier wurden ausschließlich kubische Gebäude errichtet, die endgültig mit der Formsprache der Gartenstadt brachen. 

 

Gutshof Britz

Auf der Parchimer Allee geht es dann auch weiter zum Gutshof Britz. Bis 1699 waren der Gutshof und das Rittergut im Besitz der Adelsfamilie Britzke. Die letzte Besitzerin, die Witwe Katharina von Britzke, war gezwungen, das Landgut an den preußischen Kurfürsten und späteren König Friedrich I. zu verkaufen. Der Königliche Kammerpräsident Samuel von Chwalkowski legte den Grundstein für das Gutshaus in seiner heutigen Form. Verschiedenste verdienstvolle Preußen wurden von ihren Königen im Laufe der Zeit mit dem Gut belehnt. Aber erst unter Ewald Friedrich Graf von Hertzberg (1725-1795) kam signifikante Entwicklung zustande. Er ließ das Gutshaus erweitern und auf dem Gut die Seidenspinnerzucht ansiedeln und pflanzte Maulbeerbäume an. Zu Beginn des 19ten Jahrhunderts übernahmen bürgerliche Fabrikanten den Besitz; vor allem der Seidenhändler Carl Jouanne, der Britz 1824 erworben hatte, veränderte das Anwesen durch Aus- & Umbauten signifikant und zerstörte historische Bausubstanz für immer. Der Gutshof allerdings verdankt ihm sein Aussehen – in Anlehnung an das Krongut Bornstedt bei Potsdam ließ er, geprägt vom italienischen Landhausstil mit den charakteristischen Stilelementen unverputzter Ziegelbauweise der Schinkel-Schule, die Schmiede mit Uhrenturm, das Verwalterwohnhaus sowie Pferde- und Ochsenställe renovieren. Erstmals wurde auch eine Brennerei zur Produktion von Kartoffelschnaps errichtet.    

 

Der Nachbesitzer schließlich, Wilhelm August Julius Wrede (1822-1895), Branntweinhändler und Bankdirektor der Branntweinhandelsgesellschaft, kaufte das Gut 1865 und ihm verdanken wir den heutigen Zustand. Er ließ das Landhaus zum Schloss umbauen und beauftragte den Garteninspektor Wilhelm Nalop mit der Anlegung des Gutsgartens: im Stile der Zeit mit geschwungenen Wegen, einem Teehaus, exotischen Pflanzen und einem Brunnen. Die dominierende Lindenallee stammt wohl aber schon aus der Zeit Jouannes. Und so finden sich heute Robinien, Ahorne, Rosskastanien und der älteste Ginkgo Berlins im Gutspark.

 

1924 wurde das Gut an die Stadt Berlin verkauft und seit den 1930er Jahren war der 1,8 Hektar große Park für die Allgemeinheit zugänglich. Von 1945 – 1985 wurde das Schloss als Kinderheim genutzt, stand aber seit 1971 bereits unter Denkmalschutz. Seit 1989 finden regelmäßig Veranstaltungen durch die Kulturstiftung Schloss Britz statt.

 

Sechs historische Räume des Schlosses sind zu besichtigen und geben einen sehr guten Einblick in die Lebens - & Wohnwelt der Oberschicht zur Gründerzeit - Dienstag – Sonntag 11:00-18:00, Eintritt 3,-- EUR, ermäßigt 2,-- EUR .  

 

Das Heimatmuseum Neukölln – täglich geöffnet 10:00 – 18:00; Eintritt frei, hat im Mai 2010 im ehemaligen Pferdestall neue Ausstellungsräume gefunden und zeigt sehr anschaulich und interaktiv anhand von 99 Objekten einen lebendigen und aufschlussreichen Rundgang durch Geschichte und Gegenwart Neuköllns.      

 

Gleich gegenüber im ehemaligen Verwalterhaus ist seit 2007 die Musikschule Paul Hindemith zu Hause, eine der ältesten Musikschulen Deutschlands. Auf einer Parkbank sitzend, kann man oft bei geöffnetem Fenster den Proben lauschen. Und - wenn man Glück hat gesellen sich noch die gutseigenen Pfauen zu einem. Denn die Kulturstiftung betreibt in Zusammenarbeit mit der Union Sozialer Einrichtungen seit 2007 auf dem Gut Tierhaltung mit historischen Nutztierrassen, um den schon fast verloren gegangenen ländlichen Charakter des Gutes wiederherzustellen. Es gibt Pferde, Milchvieh, Gänse, Hühner, Ziegen aber auch eine Fasanerie mit unterschiedlichen Vögeln.

 

Und wer jetzt Hunger bekommt – gleich zwei empfehlenswerte Lokale befinden sich auf dem Gelände: im sogenannten Schweizer Haus das „Buchholz – Gutshof Britz“, des im Restaurant „First Floor“ im Palace Hotel sterneumrankten Matthias Buchholz, wird anspruchsvolle Landhausküche im gehobenen Ambiente serviert.

 

Im Restaurant „Schloss Britz“ hingegen bodenständiges Essen mit Blick auf Teich und Kirche. Das Restaurant gehört zum Estrel Hotel an der Sonnenallee und wird von den dortigen Auszubildenden eigenverantwortlich geführt. Wer will, kann auch in einem der drei Zimmer oder zwei Apartments mit Dachterrasse übernachten. 

 

Alt-Britz

Gut gestärkt geht es über das alte Pflaster von Alt Britz zur Dorfkirche. Circa 1250 erbaut, gilt sie als frühgotisch und war immer unter dem Patronat der Gutsbesitzer. Im Zweiten Weltkrieg durch einen Brand zerstört, wurde sie 1948 wiederhergestellt. Sie ist unregelmäßig im Sommer sonntags geöffnet.

 

Neben der Kirche in der Backbergstraße befindet sich auch das Pfarrhaus. 1827 ließ Jouanne hier ein Gebäude durch den Baumeister Friedrich Wilhelm Langerhans errichten. Seinen heutigen Zustand erlangte das Pfarrhaus dann 1911 durch Umbaumaßnahmen auf Grundlage von Plänen der Architekten R. und H. Iwan. Das siebenachsige Wohnhaus erhielt durch diverse Grundrissveränderungen Empfangsräume sowie mehrere Gästezimmer. Ebenfalls verlegte man den Eingang an die nordöstliche Giebelseite und legte den Wintergarten mit einem Altan als mittigen Vorbau an. Durch die zahlreichen geometrischen Dekorationen und Gesimse ist die Fassade der Form nach dem klassischen Berliner Jugendstil zuzuordnen. Durch den villenartigen Charakter, den der Bau erhielt, ist die damals verbreitete Tendenz zu erkennen, ländliche Bauten der städtischen Architektur anzugleichen. Glücklicher Pfarrer der diese – damals noch – Landgemeinde übernehmen durfte. 

 

Direkt neben der Kirche ist der Dorfteich, den zu umrunden sich lohnt. Es öffnen sich immer wieder schöne Blickachsen zum Schloss und zum Landgut; allein der Verkehr auf dem Britzer Damm trübt das Vergnügen. Wer will, macht noch einen Abstecher zum Rosengarten, der nicht mehr zum Schlosspark gehört, aber direkt daran angrenzt. Leider ist er etwas lieblos gepflegt und im Britzer Garten wartet ein sehr viel schöneres Exemplar auf Erkundung.

 

Britzer Garten

Zu Fuß sind es knapp 1,5 Kilometer vom Schloss zum Eingang Massiner Weg. Alternativ fährt Bus 181 bis Neumarktplan oder eine Station weiter zum Eingang Mohriner Allee oder mit dem Bus M44 zum Haupteingang am Buckower Damm.  

 

Der Britzer Garten ist für mich West-Berlin in Reinkultur. Und ich meine das nicht negativ oder abschätzig. Die Orte an denen man die spezifische West oder Ost Prägung noch finden kann, sind rar geworden und deshalb umso wertvoller.

Baumblüte Britzer Garten - Berlin Neukölln
Baumblüte Britzer Garten - Berlin Neukölln

1985 wurden die Gärten im Rahmen der „Bundesgartenschau Berlin“ auf knapp 100 Hektar angelegt. Der eingeschlossenen West-Berliner Bevölkerung sollte ein Landschaftspark etwas Abwechslung bieten. Auf 10 Hektar wurde eine Seenlandschaft ausgehoben, deren Erdreste zur Aufschüttung von Erhebungen dienten. Hier kommt man – für Berliner Verhältnisse – auf erstaunliche 63 Meter ü.N.N. Bei gutem Wetter hat man einen phantastischen Weitblick über die Stadt – mit bloßem Auge ist sogar der Fernsehturm am Alex zu sehen. Die Seeterrassen erinnern mich immer an die Flintstones – ich erwarte jeden Augenblick Fred Feuerstein und Wilma um die Ecke treten. Direkt in der Nähe befindet sich eine Äolsharfe – eine Windharfe, die durch den Luftstrom zauberhafte Klänge von sich gibt. Im Teich schwimmen sehr wohl genährte Welse, die keinerlei Scheu vor Menschen haben und dem Anschein nach gerne gefüttert werden würden, was man jedoch unterlassen sollte.  

 

Auf verschlungenen Wegen erreicht man unterschiedliche Gartenräume, Spiel - & Liegewiesen, einen kleinen Bergbach mit Wasserfall, Obstwiesen, einen Staudengarten, einen Hexen– bzw. Kräutergarten, ein Bienenhaus, Tiergehege mit Schafen, Ziegen, Eseln, Kaninchen und Hühnern, einen Rhododendrenhain, einen Rosengarten und sogar eine Tennishalle. Und natürlich die Britzer Mühle, eine der beiden letzten voll funktionsfähigen Mühlen Berlins (die andere ist die Bockwindmühle in Marzahn).  Nicht zu vergessen natürlich die Parkbahn, die auf 6 Kilometern Schienen in knapp einer Stunde den Park umrundet.        

 

Der Park ist ein Eldorado für Gartenliebhaber, aber auch Ruhesuchende kommen hier auf ihre Kosten. Der Eintrittspreis von 2,-- EUR (bei Sonderschauen wie dem Dahlienfeuer im Herbst 3,-- EUR) pro Erwachsenem scheint disziplinierend zu wirken. Bis Einbruch der Dunkelheit hat der Garten geöffnet – ein schöner Abschluss eines Tages im Berliner Südosten.       

 

Hufeisensiedlung:  U7 Blaschkowallee oder Parchimer Allee – Bus M46 Parchimer Allee

 

Schloss und Gutshof Britz: U7 Parchimer Allee – Bus M44 – M46 Fulhamer Allee 

 

Britzer Garten: Bus M44 Britzer Garten – Eingang Buckower Damm / Bus 181 Neumarktplan – Eingang Massiner Weg / Bus 181 Windröschenweg – Eingang Mohriner Allee / täglich an 09:00 - bis Einbruch der Dunkelheit /  https://gruen-berlin.de/britzer-garten

 

Buchholz – Gutshof Britz / 030 6003 4607 / Do-Mo ab 12:00 – warme Küche 12:00-14.30 & 17:00-20:00 / www.matthias-buchholz.de / €€

 

Schloss Britz Restaurant / 030 6097 5039 / Mi-Sa 11:30 -22:00 So 11:30-20:00  / www.schloss-britz-berlin.de/index.html / €€

Inhalte von Google Maps werden aufgrund deiner aktuellen Cookie-Einstellungen nicht angezeigt. Klicke auf die Cookie-Richtlinie (Funktionell), um den Cookie-Richtlinien von Google Maps zuzustimmen und den Inhalt anzusehen. Mehr dazu erfährst du in der Google Maps Datenschutzerklärung.

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Klaus-Joachim Haetzel (Sonntag, 18 August 2019 14:51)

    Als Ehemaliger des Albert-Einstein-Gymnasiums und Gefährte einer einzigartigen Frau aus der Hufeisensiedlung bin ich noch heute Fan des Britzer Biotops. Vielen Dank für die liebevollen Impressionen aus meiner Geburtsstadt mit schönen Fotos und interessanten Hinweisen. Auch oder gerade als Berliner lernt man nie aus, was Geschichte und Werdegang unserer Metropole betrifft.

  • #2

    Charlotte@fortsetzungberlin (Sonntag, 18 August 2019 17:19)

    Immer wieder gerne!

News

1000x Berlin. Das Online-Portal zur Stadtgeschichte

1000 Fotografien aus den Sammlungen der Berliner Bezirksmuseen und des Stadtmuseums Berlin geben einen faszinierenden Einblick in die Stadtgeschichte. Aus Anlass des 100. Jubi­lä­ums von Groß-Ber­lin erzäh­len sie von einer Groß­stadt, die 1920 durch Par­laments­be­schluss aus Städ­ten, Landgemeinden und Gutsbezirken zusammen­gefügt wurde. 150 thematische Fotoserien zeigen, wie sich das Bild Berlins von der Weimarer Republik bis in die Gegenwart verändert hat. Alle Infos – hier