Der Kurfürstendamm - Geschichte des Berliner Boulevards

Am Anfang steht ein Reitweg beziehungsweise ein Knüppeldamm. 1542 lässt Kurfürst Joachim II. Hector im „Grünen Wald“ - dem Grunewald - ein Jagdschloss errichten. Um auf dem Weg dorthin nicht im Morast zu versinken wird der Verbindungsweg südlich des Tiergarten mit Bohlen befestigt. Auf Höhe des heutigen Olivaer Platz biegt der Knüppeldamm Richtung Grunewald ab und mündet in einen Feldweg. 1685 erscheint erstmals der Name „Churfürsten Damm“ auf einer Karte von Berlin und Umgebung.

 

Jahrhundertelang ändert sich daran nichts bis Otto von Bismarck auf seinen Ausritten den Damm entdeckt und befindet: Berlin braucht eine Champs Élysées und zwar genau hier ! Auf seine Initiative wird im Juni 1875 per Kabinettsorder der Ausbau des Kurfürstendamms nach Vorbild der Pariser Prachtstraße beschlossen. Zeitgleich entsteht an dessen westlichem Ende ein nobles Villenquartier, die Kolonie Grunewald. Das sumpfige Waldgelände wird trockengelegt, wodurch die künstlich angelegten Grundwaldseen Diana-, Koenigs-, Hertha- und Hubertussee entstehen. Walther Rathenau, der 1922 in der Königsallee einem Attentat zum Opfer fällt, Max Planck, Alfred Kerr, Gerhart Hauptmann, Vicki Baum, Lion Feuchtwanger, Samuel S. Fischer, die Familie Ullstein und viele andere bilden das kulturelle Zentrum der Villenkolonie.

Der Kurfürstendamm selbst wird mit seinen Wohnpalästen schnell zur bevorzugten Wohnadresse; 1913 leben hier 120 Millionäre. Auf Grund seiner berühmt-berüchtigten Cafés - wie Café des Westens, auch “Café Größenwahn” genannt oder dem Romanischen Café, ist der Boulevard einer der Treffpunkte von Schriftstellern, Schauspielern, Malern und Bohèmians. Es gibt die Max-Reinhard-Bühne, das Kabarett der Komiker, Varietés und Kinos, z.B. das Universum, heute Heimat der Schaubühne. In der Gegend rund um den Kurfürstendamm leben unter anderem Erich Kästner, Bert Brecht, Helene Weigel, George Grosz, Anna Seghers, Erich Maria Remarque, Max Pechstein, Heinrich Mann und Arnold Zweig.

 

Der Kurfürstendamm ist der Inbegriff des kulturellen Lebens und das schon lange vor den “Goldenen Zwanzigern”. Bereits zu Kaiserzeiten hat sich hier im noblen Charlottenburg ein Lebensstil herausgebildet, der wesentlich kosmopolitischer und demokratischer ist als der preußische Provinzialismus im benachbarten Berlin; der Kurfürstendamm ist das Zentrum der Avantgarde. Das Großbürgertum, viele jüdischen Glaubens, lebt, arbeitet und amüsiert sich hier.

Am „anderen“ Ende, am Halensee, entwickelt sich eine Vergnügungsmeile par exellence; der legendäre Lunapark zieht die Massen – trotz exorbitanter Eintrittspreise – aus der ganzen Stadt an. Sehr zum Leidwesen der Nachbarn der Villenkolonie – ihnen ist es zu laut!

Die Nationalsozialisten bereiten der kulturellen Blüte und dem frivolen Vergnügen ein Ende. Im Krieg wird die Bebauung – wie die aller Innenstadtlagen Berlins – größtenteils zerstört. Als Phoenix aus der Asche wird der Boulevard in den Nachkriegsjahren zum „Schaufenster des Westens“; im Wettbewerb der Systeme kommt dem Kurfürstendamm die Repräsentanz der „freien Welt“ zu, wenige Kilometer von der Sektorengrenze entfernt. Hier ist schon bald nach Kriegsende nichts mehr von bedrückter Stimmung zu spüren, während man andernorts in Berlin den Eindruck hat, die Stadt würde sich nie wieder erholen. Das pulsierende Leben im West Berlin der 1950er und 1960er Jahre konzentriert sich – erneut - in der Gegend rund um den Kurfürstendamm.

In den 1970er Jahren verkommt die Flaniermeile zusehends. Die exklusiven Geschäfte wandern ab, als „Bouletten-Boulevard“ wird der Kurfürstendamm betitelt. Erst im Rahmen der Planungen zur 750-Jahr Feier Berlins 1987 zieht der Stadtentwicklungssenator die Notbremse und lässt die Prachtstraße aufpolieren. Am 9. November 1989 und in den Tagen danach strömen die Ost-Berliner zu diesem Sehnsuchtsziel.

In der wiedervereinigten Stadt verliert der Kurfürstendamm erneut seine Attraktivität und seinen Charme. „Go East“ lautet das Motto, die Künstler, die Avantgarde treffen sich in Mitte oder im Prenzlauer Berg, die Friedrichstraße soll zum neuen Luxus Eldorado ausgebaut werden.

Inzwischen hat sich die City West weiterentwickelt, der „Alte Westen“ hat sich neu erfunden. Am Kurfürstendamm und in seinen Seitenstraßen beginnt langsam wieder aufregendes und anregendes Leben einzuziehen.

In ihrem Buch „Der Kurfürstendamm - Geschichte des Berliner Boulevards“ nimmt uns die Berliner Historikerin Regina Stürickow, aufgewachsen auf dem Kurfürstendamm, mit auf eine Reise durch die Zeiten. Mit vielen Anekdoten, vielen Zitaten und zeitgenössischen Beschreibungen malt sie ein Stimmungsbild des Kurfürstendamm in den unterschiedlichen Epochen. Viele bemerkenswerte Details darf der Leser erfahren, zum Beispiel warum 1925 das Teilstück östlich des heutigen Breitscheidplatzes bis zum Lützowufer in “Budapester Straße” umbenannt wurde und seither der Kurfürstendamm mit Hausnummer 10 bzw. 11 beginnt. Oder wie die Russen nach Charlottenburg kamen und die Berliner den Stadtteil kurzerhand in Charlottengrad umbenannten. Und natürlich die Geschichten aus dem Romanischen Café – fast ist als säße man am Nachbartisch. Dazu Porträits von Menschen und Familien, die das Leben am Kurfürstendamm geprägt haben.

Kurzweilig ist das und erhellend, leichtfüßig und kenntnisreich erzählt. Dem Leser erschließt sich die enorme Anziehungskraft des Boulevards, besonders die fiebrigen 1920er Jahre sind fast atemlos erzählt. Eine schier unfassbare Anzahl an Cafés, Restaurants, Vergnügungsstätten und Lichtspielhäuser säumen die Prachtmeile. Halbwelt trifft auf Hautevolee, Künstler auf Mäzene, wer etwas werden will oder schon etwas ist – der Kurfürstendamm ist ihr Zentrum und der Leser mitten drin.

Aber natürlich schleicht sich in die Lektüre auch ein bisschen Wehmut darüber ein, was unwiederbringlich verloren gegangen ist. Um Regina Stürickow zu zitieren „ .. denn verlorengegangene Atmosphäre ist allein durch noble Geschäfte und aufwendig restaurierte Fassaden nicht zu ersetzen. Ein lebendiger Boulevard muss mehr als nur eine profane Einkaufsstraße sein.“

Und dennoch – der Ausblick der Autorin bleibt optimistisch. Vor allem in den Nebenstraßen gibt es noch das Flair und den Charme der Großstadt und die Hoffnung bleibt, dass der Kurfürstendamm und die City West wieder zu einem kosmopolitischen Zentrum des Berliner Lebens werden.

Regina Stürickow: Der Kurfürstendamm │ Geschichte des Berliner Boulevards / 224 Seiten / Hardcover / Elsengold Verlag / ISBN 978-3962010652 / 25,-- Euro / Das Buch erscheint am 31.März 2021

DISCLAIMER: Der Band wurde mir vom Elsengold Verlag als Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt

 

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