Der jüdische Friedhof Weißensee ist einer der größten und schönsten jüdischen Friedhöfe Europas und umfasst beinahe 116.000 Grabstellen.
Der Friedhof wurde 1880 eröffnet, da der Jüdische Friedhof an der Schönhauser Allee für die immer größer werdende jüdische Gemeinde in Berlin zu klein wurde. Bereits bei der Gründung teilte man die Grabstellen in Erbbegräbnisse, Wahl- und Reihenstellen ein. In der Tradition der jüdischen Grabkultur waren die Gräber ursprünglich einfach und einheitlich, aber die wohlhabenden Juden Berlins standen den christlichen Bürgern bald in dem Wunsch nach Prachtgräbern nicht mehr nach und so kann man auch hier Repräsentanzbauten des bürgerlichen Selbstbewusstseins bestaunen.
Aber richtiger und wichtiger Weise muss ein jüdischer Friedhof auch auf die schwierige Geschichte der deutschen Juden eingehen und sie darstellen. Neben dem Haupteingang befindet sich eine Beisetzungsstelle für 90 geschändete Thorarollen, die in der Pogromnacht vom 9. November 1938 entweiht wurden. Direkt gegenüber des Haupteingangs findet sich ein Rondell mit einem Monolithen zum Gedenken an die sechs Millionen Juden, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung geworden sind. Auf kreisförmig angeordneten Steinen sind die Namen aller großen Konzentrationslager eingemeißelt. In jüdischer Tradition liegen auf vielen der Tafeln Kieselsteine zum Totengedenken.
Weiter südlich im Friedhof befindet sich ein Ehrenfeld für die im I. Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten. In seinem Zentrum steht ein von Alexander Beer entworfener drei Meter hoher Monolith aus Muschelkalkstein. Wenn man hier steht und sieht wie selbstverständlich Bürger jüdischen Glaubens oder jüdischer Abstammung ihrer Pflicht für das Kaiserreich nachgekommen sind - wie alle Bürger - erscheint es ein bißchen klarer, daß die Unbegreiflichkeit des Dritten Reiches vielen nicht in den Kopf und den Verstand wollte.
Im jüdischen Friedhof kommt man sich fast vor wie in einem Park; allein die Größe ist beeindruckend und die schiere Zahl der Grabstätten. Und er ist ein stolzes Zeichen der Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens in Berlin bis 1933 und ein niederschmetterndes Zeichen, daß dies leider unwiederbringlich verloren ist.
Bitte vergessen Sie nicht, dass männliche Besucher eine Kopfbedeckung benötigen; es gibt allerdings auch Kippas zum Ausleihen im Blumenladen direkt am
Eingang. Die Öffnungszeiten richten sich nach den jüdischen Wochenend- und Feiertagen.
Herbert-Baum-Straße 45 – Weißensee / Bus 156 Michelangelostraße – Tram12& M2& M4& M13 Albertinenstraße
In der Nähe: Der Rote Gott
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Juliane Gassert (Montag, 27 März 2017 11:30)
Das klingt nach Sich-Zeitnehmen und nach einem Spaziergang der etwas anderen Art
auf den Spuren der Geschichte durch den parkähnlichen Friedhof.
Und danach vielleicht noch kurz auf einen Kaffe am nahgelegenen Weissensee?
Danke für dieses kurze eindrückliche Pic.
Charlotte@fortsetzungberlin (Montag, 27 März 2017 15:20)
Ja, Zeit sollte man sich nehmen, und sich einfach treiben lassen, das Gelände ist sehr groß. Falls Du noch ein bißchen weiter als Weißensee gehen willst - am WE ist die Bar am Wasserturm am Obersee auch tagsüber geöffnet. Man sitzt da sehr nett mit Blick auf das Mies van der Rohe Haus.
rufus katzer (Dienstag, 28 März 2017 10:24)
Vom jüdischen Friedhof bis Silent Green Kulturevent - fast zuviel Input für ein Kultursnewsletter, aber jeder für sich lesenswert und lohnend zum Ausprobieren. Danke Charlotte für Initiative und Inspiration!
Charlotte@fortsetzungberlin (Mittwoch, 29 März 2017 21:41)
Gerne und Danke. Freue mich, wenn meine Tipps weiterhelfen können.